Ohne Aufklärung keine Prävention

Der ehemalige Spiegeljournalist Cordt Schnibben über die Notwendigkeit der journalistischen Grundlagenausbildung, Fehler in der Corona-Pandemie und seinen Weg zurück in den journalistischen Alltag.

Von Tim Hoffmann

Cordt Schnibben im Video-Interview
Foto: Hans-Jakob Erchinger

Cordt Schnibben ist Gast bei der diesjährigen n-report-Fortbildung mit dem Schwerpunkt journalistischer Grundlagen, doch wirklich anwesend ist er nicht, mithilfe eines Beamers ist er per Videokonferenz zugeschaltet. Es ist inzwischen kein ungewohntes Bild mehr. Bei den Zuhörern herrscht eine aufmerksame, aber irgendwie auch angespannte Stimmung.

Schnibben ist preisgekrönter Journalist, leitete unter anderem mehrere Jahre das Gesellschaftsressort des Nachrichtenmagazins Spiegel und gab zuletzt das Buch „Corona. Geschichte eines angekündigten Sterbens“ heraus. Entsprechend des Buchtitels ist auch Schnibbens Stimmung. Ihm gehe es derzeit nicht so gut, er habe Fieber, Husten und fühle sich unwohl. Den Humor hat er jedoch nicht verloren. „Das wäre eine gelungene Pointe, sollte ich jetzt daran erkrankt sein, woran ich die letzten Wochen geforscht habe.“ 

Eigentlich beendete Schnibben seine journalistische Karriere bereits vor mehreren Jahren und betrachtet sich nun auch als Familienmensch, der gern auf Sylt urlaubt. Er selbst sieht sich in seiner Aufgabe ausgefüllt, sein Wissen an die jüngere Gesellschaft weiterzugeben. Es ist ihm wichtig, den angehenden YouTubern, Bloggern oder Instagramern das journalistische Handwerk näherzubringen, „damit ihr Grundwissen und die Qualität der Beiträge besser wird.“ Kinder und Jugendliche seien durch digitale Medien, wie z. B. Podcasts, heute gut informiert. Doch bestehe immer die Gefahr von „Blödsinn und Fakenews“, wie Schnibben ernst erzählt. Als gelungenes Beispiel für eine sinnvolle Symbiose klassischer und neuer Medien sieht er dabei den Podcast des NDR mit dem Top-Virologen Christian Drosten. 

Um jungen Menschen in ihrer journalistischen Funktion zu helfen, arbeitet Schnibben mit an der Entwicklung der Websites Reporterfabrikund Bürgerakademie, mit dem Ziel, nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrkräfte als Multiplikatoren journalistischer Grundlagen auszubilden. Für Schnibben ist journalistische Aufklärung wichtig, von allein komme diese jedoch nicht zu den jungen Menschen. Zwar gebe es von Seiten der Kultusministerkonferenzen Vorgaben für den Unterricht, doch sieht Schnibben diese kritisch: „Ich glaube, viele Ideen der Kultusministerkonferenz kommen von Menschen, die nicht viel mit dem Alltag in den Schulen zu tun haben.“ Er fordert daher, dass Journalismus integraler Bestandteil des Unterrichts werden muss. 

Zurück in den Alltag

Die aktuelle Corona-Pandemie hat bei Schnibben ein Umdenken bewirkt, weg vom heimischen Familientisch, zurück auf den harten Schreibtischstuhl der journalistischen Arbeit. „Das Virus hat mich zurückgezerrt, ich habe gespürt, dass der Bedarf da ist, hierzu den Menschen etwas mitzuteilen.“ Er führt einige wichtige Erlebnisse an, die ihn zu dieser Erkenntnis brachten: Am Ostersonntag musste er mit der Familie eine Videokonferenz abhalten. Das traditionelle Kaffeetrinken war aufgrund des beschlossenen Lockdowns und der Ausgangssperre verboten. Spätestens da dachte sich Schnibben: „Was passiert gerade in meinem Leben?“ Nachdem dann auch noch vier Bekannte und Freunde am Virus, teils sehr schwer, erkrankten, sei für ihn die Erkenntnis gereift, dass er etwas über das Virus schreiben müsse. 

Für die Arbeit am Buch stellte sich Schnibben ein Team von Experten zusammen, das bereits längere Zeit am Virus und dessen Auswirkungen forschte. „Ein Buch mit knapp 400 Seiten zu verfassen, in nur zwei Monaten, das ist ohne ein eingespieltes Team nicht möglich.“ Schnibben selbst half bei der Struktur, achtete darauf, dass bei der Fülle an Mitarbeitern ein Rädchen ins andere griff. 

Fehler über Fehler

Inhaltlich sieht er das Buch als aufklärerisches Werk und wirft der Bundesregierung offen Fehler vor. „Seit 2003 haben wir das Wissen, dass es viele Viren gibt, die von der Tierwelt auf den Menschen überspringen können und gefährlich sind!“ Sowohl das Robert-Koch-Institut als auch Prominente, wie zum Beispiel Bill Gates, forderten seither, einen Grundimpfstoff zu entwickeln, welcher auf die jeweiligen Gegebenheiten des Virus angepasst werden kann. Seit 2003 sei diese Entwicklung eigentlich möglich gewesen, „passiert ist aber nichts“, so Schnibben. 

Auch nach Bekanntwerden der akuten Gefahr seien elementare Fehler gemacht worden: „Während andere Länder wie Südkorea oder Taiwan sofort reagiert haben, wurde die Lage bei uns viel zu spät ernst genommen.“ Erst am 22. März reagierte die Bundesregierung mit dem Lockdown. „Zu spät“, sagt Schnibben. Er schätzt, dass es durch ein früheres Eingreifen gut 100.000 Infizierte weniger gegeben hätte. Auch gebe es seit 2015 konkrete Pläne zum Umgang mit Pandemien und deren Prävention. Die Bundesregierung aber baute laut Schnibben die Gesundheitsämter ab – obwohl diese in Zeiten der Pandemie die zentrale Anlaufstelle im Kampf gegen ein Virus sind. So kam es dazu, dass Masken sowie lebenswichtige Beatmungsgeräte fehlten. „Und anstatt Urlauber, die kurz vor dem Lockdown noch in den Krisengebieten waren, direkt in Quarantäne zu schicken, wurden diese, trotz Warnungen, direkt wieder ins öffentliche Leben entlassen.“ Schnibbens Stimme hebt sich bei diesen Ausführungen, beruhigt sich dann aber wieder und offenbart seinen klaren Blick. „Wir müssen gemeinsam für eine bessere Aufklärung sorgen und junge Menschen befähigen, ihre Reichweite in sozialen Netzwerken gut und sinnvoll zu nutzen, damit sie rechtzeitig einen sinnvollen Beitrag leisten können und frühzeitig aufklären. Die Menschen müssen verstehen, was sie in solchen Situationen zu tun haben.“

Schnibben beendet die Videokonferenz mit einem Genesungswunsch an sich selbst: „Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass ich nicht selbst erkrankt bin, davor habe ich natürlich Angst.“ Diesmal steckt erkennbar kein Humor in seinen Worten.

Zur Person

Tim H. Hoffmann unterrichtet seit 2017 am Erich Kästner Gymnasium Laatzen die Fächer Sport und Deutsch. Er betreut die Zusammenarbeit mit Sportvereinen der Region und unterstützt in Form von Video- und Textbeiträgen die Öffentlichkeitsarbeit der Schule. Ab dem Schuljahr 2020/21 leitet er die Film- und Foto-AG der Schule. 

Über n-report

Projektleitung Journalismus und Schule beim niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung
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