Oder unser neues Schulleben nach dem Motto: „Bitte morgen früh in der vorgeschriebenen Zone warten, ein Lehrer holt euch ab und bringt euch in den Klassenraum.“
Von Simone Detje und Maria Plaggenborg
Die neuen Rahmenbedingungen und ihre (bisweilen schwierige) Umsetzung
Nach der Pressekonferenz des Niedersächsischen Kultusministeriums steht fest: Die Klassenfahrt fällt aus! Enttäuschte Schüler- und Lehrergesichter sind zu sehen, aber Zeit, darüber lange nachzudenken, bleibt nicht. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern wird nun die Schulschließung vorbereitet. Ausgerechnet am Freitag, dem 13.03.2020 wird klar, dass von nun an im „Homeschooling“ unterrichtet werden wird. Zu diesem Zeitpunkt gehen noch alle davon aus, dass diese „Phase“ nur bis zu den Osterferien andauern wird. Es werden also mit den Schülern die Arbeitsaufträge für die folgenden zwei Wochen besprochen. In den Abschlussklassen kommt bei den Schülerinnen und Schülern schon eine gewisse Unruhe auf und Ängste werden kommuniziert. Die Lehrkraft versucht, die Klasse zu beruhigen und bespricht die verschiedenen Kommunikationswege, vergleicht Handynummern, etc. Andere Klassen jubeln und freuen sich auf die vermeintlich unterrichtsfreie Zeit. Schülerinnen und Schüler sind verunsichert, Lehrerinnen und Lehrer ebenfalls. Was erwartet uns? Wie kann Unterricht im „Homeschooling“ organisiert werden? Erreicht man jeden Schüler? Wird das Ganze funktionieren?
Die folgenden Wochen verlaufen ziemlich unkompliziert, Fragen werden über IServ und Telefon geklärt.
Im Laufe der Zeit wird deutlich, dass der Unterricht nach den Osterferien nicht wie gewohnt stattfinden wird. Die ersten Planungen beginnen. Das Niedersächsische Kultusministerium gibt einen mehrseitigen Hygieneplan für alle Schulen heraus, der dann von den einzelnen Schulen individuell umgesetzt werden muss. Jede Schulleitung ist nun in der Pflicht, diese Vorgaben unter den gegebenen Voraussetzungen umzusetzen. Es werden Überlegungen angestellt, inwieweit der Wechsel der Schülergruppen stattfinden soll. Täglicher Wechsel? Wöchentlicher Wechsel? Was passt individuell zu uns bzw. zu unseren Schülern? Im Gespräch mit zahlreichen Lehrerkollegen anderer Schulen wird klar, dass die Vorgaben in allen Schulen unterschiedlich umgesetzt werden.
Gemeinsamkeiten gibt es aber auch, zum Beispiel, dass die Klassen in zwei Gruppen aufgeteilt werden, dass die Schülerinnen und Schüler an Einzeltischen sitzen, die einen Mindestabstand von 1,5 Metern haben. Auch Wegebeschriftungen befinden sich ab jetzt in jedem Schulgebäude. Welcher Weg muss eingeschlagen werden, um in den Klassenraum oder auf die Toilette zu gelangen, rechts herum oder links herum? Oder in der Mitte? Diese Wahl gibt es in Zeiten von Corona nicht mehr. Der Weg ist klar strukturiert und mit Klebemarkierungen auf dem Boden kenntlich gemacht. Auch auf dasHändewaschenwird jetzt auf zahlreichen Schildern hingewiesen.
An einigen Schulen tragen sich die Schüler in Toilettenlisten ein (selbstverständlich mit dem eigenen Stift, da nichts von anderen berührt werden darf). „Pipi-Ampeln“ regeln zusätzlich den Toilettenbesuch. Beidseitig bedruckte Schilder hängen vor den äußeren Toilettentüren und regeln, dass maximal zwei Schüler die sanitären Anlagen gleichzeitig betreten dürfen. Lediglich die Art des „Geschäfts“ muss nicht aufgeführt werden. An anderen Schulen gibt es dafür extra abgestellte Lehrer, die als „Kloaufsichten“ arbeiten. Auch sie kontrollieren, dass die Hände ordnungsgemäß desinfiziert werden, eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen wird und die Maximalzahl der Toilettenbesucher nicht überschritten wird.
Das Thema Mund-Nasen-Schutz wird in den Schulen unterschiedlich gehandhabt. In einigen Schulen ist es Pflicht, die Maske beim Betreten der Schule aufzusetzen, in anderen Schulen wiederum wird das Tragen der Maske nur für den Toilettenbesuch vorgeschrieben und für die restliche Zeit empfohlen. Auch zum Tragen der Maske in den Pausen gibt es unterschiedliche Regelungen.
Mittlerweile dürften alle in der Schule den Hygienebeauftragen und den individuellen Hygieneplan kennen.
Von der Wartezone in den Unterricht oder wie der Pausengong zum Lüftungsgong umgewandelt wird
„Bitte morgens in der vorgeschriebenen Zone warten, ein Lehrer holt euch ab und bringt euch in den Klassenraum.“ So oder so ähnlich werden die Schülerinnen und Schüler an niedersächsischen Schulen zu Beginn des Präsenzunterrichts in ihren neuen Schulalltag eingewiesen. Nicht zu vergessen: die Handdesinfektion, die beim Betreten des Schulgebäudes vorgenommen werden muss.
Ein täglicher Gruppenwechsel und feste Kleingruppen (meist unterteilt in A und B) bestimmen von nun an den Unterrichtsalltag. Differenzierung findet nur noch innerhalb der Kleingruppen statt, eine Aufteilung in leistungshomogene Gruppen ist verboten. Auch der gewohnte Unterricht im Klassenverband ist von nun an für unbestimmte Zeit passé.
Für die Schülerinnen und Schüler ist dies bestimmt eine aufregende und befremdliche Zeit. Aber wie ist das für die Lehrerinnen und Lehrer?
Auch Lehrer müssen auf den vorgegebenen Wegen entlang von Wegmarkierungen, immer unter Einhaltung des Mindestabstandes, in den Unterricht. Die Handdesinfektion gehört mittlerweile zur Normalität.
Alle 45 Minuten folgt der Appell zum Stoßlüften. Der Pausengong musste einem Lüftungsgong weichen. So wird in einigen Schulen an die ordnungsgemäße Lüftung erinnert. Dabei ist es wichtig, dass nur der Lehrer die Fenstergriffe anfassen darf. Dazu muss er jedoch den Schülern nahekommen, die direkt am Fenster sitzen … Das gleiche gilt übrigens auch für das Verteilen von Arbeitsblättern.
In einigen Schulen werden, um Schüleransammlungen zu vermeiden, die Pausenzeiten unterschiedlich festgelegt. Jeder Jahrgang hat seine individuellen Pausen.
Diese können aber bisweilen durchaus unsinnig sein. Eine große Pause zehn Minuten nach dem Unterrichtsbeginn scheint da eher wenig sinnvoll. Dennoch wird dadurch sichergestellt, dass auch jeder Schüler seine rechtmäßige Ruhezeit bekommt. Bei Lehrern greift diese Überlegung scheinbar nicht. Denn die nutzen häufig die Pausenzeiten dafür, um die Räume zu wechseln, oder sie haben eine Aufsichtspflicht. Zeit für ein kleines Frühstück bleibt da selten.
Der Gang über die Flure ist begleitet von stetigen Ermahnungen wie „Bitte den Abstand einhalten.“ Mit dem eigentlichen Charakter von Schule hat das wenig zu tun, sondern es gleicht eher einem Kasernenton. Alle marschieren im Gleichschritt hintereinander her, meist wohlwissend um die Notwendigkeit der Maßnahmen.
„Homeschooling“ und Präsenzunterricht – Unterricht mit und ohne Corona
Im Wechsel werden die Schülerinnen und Schüler zurzeit beim Lernen zu Hause oder im Präsenzunterricht betreut. Im sogenannten „Homeschooling“ werden Aufgaben per IServ gestellt, Fragen über den Messenger oder in Gruppenräumen beantwortet und schließlich Arbeitsergebnisse kontrolliert. Zeitgleich wird Unterricht geplant, vorbereitet und durchgeführt. Hatte man vorher sechs Lerngruppen, sind es nun zwölf. Das parallele Arbeiten in zwei Gruppen gehört zum Unterrichtsalltag. „Was habe ich gestern in der Gruppe A erarbeitet? Habe ich das in eurer Gruppe oder in der anderen Gruppe gesagt?“ Dies sind mittlerweile ganz alltägliche Fragen.
An Methodenvielfalt ist zurzeit nicht zu denken, der Einzel- und Frontalunterricht bestimmt den Unterricht. Methodische Feuerwerke in Form von Partner- und Gruppenarbeiten sucht man vergebens.
Ganz nebenbei gehen aber auch außerordentliche Unterrichtssituationen weiter. Die Einschulungsfeier für die Ankunft der neuen Schülerinnen und Schüler nach den Ferien will geplant werden, selbstverständlich auch hier wieder in unterschiedlichen Gruppen.
Die Unterrichtsräume sind durchgehend geöffnet. So bekommt man wenigstens mit, was im Unterricht der anderen Kollegen so passiert oder wann eine andere Klasse ihre Pausenzeiten hat.
Ist ein Schultag geschafft, dann muss das Gebäude auf direktem Wege wieder verlassen werden. Der Weg ist frei für die Desinfizierung aller Räume, damit auch am nächsten Tag der Unterricht wieder keimfrei beginnen kann, getreu dem Motto: „Bitte morgen früh in der vorgeschriebenen Zone warten, ein Lehrer holt euch ab und bringt euch in den Klassenraum.“
Zur Person
Simone Detje arbeitet seit 2008 an der Vicco-von-Bülow Oberschule in Vienenburg im Landkreis Goslar. Sie unterrichtet die Fächer Sport und Mathematik. Aktuell ist sie Klassenlehrerin einer zehnten Klasse und ab dem nächsten Schuljahr Klassenlehrerin einer achten Klasse. Darüber hinaus betreut sie zusammen mit einer Kollegin die Schülervertretung der Schule.