Corona im journalistischen Alltag

Franziska Karas im Gespräch mit Imre Grimm, Redakteur beim RedaktionsNetzwerk Deutschland

Imre Grimm stellt sich den Fragen der n-Reporterinnen und n-Reporter.
Foto: Hans-Jakob Erchinger

Imre Grimm arbeitet seit 2013 als Redakteur beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dort arbeitet er im Ressort Gesellschaft. Vorher hat er 20 Jahre bei der Hannoverschen Allgemeine Zeitung gearbeitet.

Franziska Karas: Sie haben den Artikel „Die Deutschen Medien und Corona – eine Zwischenbilanz“ geschrieben. Dabei haben Sie eine dreiteilige Phaseneinteilung vorgenommen. Wie liefen Ihre Recherchen ab? 

Imre Grimm: Die drei Phasen sind eine subjektive Beobachtung. Kurz erklärt: In der ersten Coronaphase war, was die Medien angeht, eine große Arroganz im Spiel. Wir haben alle gedacht, da passiert im fernen China was, die machen da Sachen, die wir nicht verstehen – ziemliche westliche Überheblichkeit eben. Zweite Phase: alle klammern sich unter, jetzt müssen wir gemeinsam. Dritte Phase: der große Konsens bricht auf. Leute werden nöliger, Maske bäh, Merkel doof usw. Das sind diese drei Phasen.

Der Anfang dieser Recherche war relativ einfach. Ich habe bei der dpa gefragt, wann die erste Geschichte dazu erschienen ist. Das war praktisch der Urknall. 

Die Recherche für den zweiten Punkt war ganz einfach, da musste ich nur bei uns in die Redaktion gucken. Wir haben das Interesse jeden Tag beobachtet. Wir haben einen Chartbeat, so heißt das. Das ist eine Liste, da geht es jetzt allein um die Quote. Das darf nicht das einzige Kriterium sein, niemals, aber natürlich ist es ein Gradmesser für das, was gerade draußen interessant ist. Und dort waren die ersten 40 bis 50 Geschichten des Tages ohne jede Ausnahme Corona. Was gilt wo? Wie ist der Stand der Dinge in den Bundesländern? Es war einfach sozusagen die Vernunfterkenntnis, das ist jetzt notwendig, das machen wir jetzt. 

Wie sehen Sie die Kommunikation zwischen Politik und Bürgern in der Pandemie? Und welche Rolle haben die Medien dabei gespielt oder besser, welche Rolle hätten sie dabei spielen müssen? 

Also wir sind ja die Schnittstelle zwischen Politik und Bürgern, wir haben sozusagen die Aufgabe, das, was entschieden wird, zu ventilieren. Im Fall von Corona ist es so gewesen, dass es einen sehr großen Konsens darüber gab, was jetzt zu tun ist in der ganzen Unsicherheit, die alle teilen. Damals in der ersten Phase war die Zahl der Eilmeldungen im Sekundentakt so groß, dass wir gar nicht bei jedem Thema die üblichen kritischen Fragen stellen konnten. Nämlich: Ist das vernünftig? Gibt es Alternativen? Wer hat das entschieden? Welche Interessen sind im Spiel? Weil dann – zack – schon wieder die nächste Eilmeldung kam, in einer Größenordnung, die man sonst zwei Mal im Jahr hat. Man muss sich das so vorstellen, allein im März gab es 281 Eilmeldungen von der dpa. Normal sind zwei Dutzend im Monat. Und Eilmeldung bei der dpa heißt, das ist schon echt ein Knaller. Nehmen wir das Beispiel „Europäer dürfen nicht mehr nach Amerika einreisen“. In normalen Zeiten hätte uns dieses Thema allein drei Wochen beschäftigt. Drei Wochen! So sind es drei Stunden gewesen. Es soll keine Entschuldigung für Versäumnisse sein, aber ich glaube es ist eine Erklärung dafür. Zum Beispiel wurde die Frage, wie geht es den Familien, zu spät gestellt. Es ging sehr viel um Wirtschaft. Wir hätten daran erinnern müssen, Freunde, es gibt nicht nur Wirtschaft, es gibt auch Familien. Das ist nicht einer strategischen Entscheidung der Medien geschuldet, sondern das ist schlicht und einfach der Masse geschuldet, die wir zu verarbeiten hatten. Ich glaube, da sind Versäumnisse entstanden. Ja, ich glaube, manche Themen hätten wir als Medien früher anschneiden müssen. 

Ich sag immer, Angst wächst in den Lücken, die das Wissen lässt. Zu wissen, was läuft da, und wer hat recht? Dann kam uns in der Zeit eine besondere Verantwortung zu und das haben wir auch gespürt und der einzige Weg, damit vernünftig umzugehen, ist zu sagen, das wissen wir, das wissen wir nicht. 

Warum haben die Medien diesmal so viel besser gearbeitet als zu Zeiten der Flüchtlingskrise? 

Das ist eine sehr gute Frage, finde ich und ich glaube, das ist auch so.

Es sind mehrere Gründe. Der eine ist, dass wir nicht wieder so ein Chaos haben wollen wie bei der Flüchtlingskrise. Also da war es so, dass die Berichterstattung von Anfang an komplett aus dem Ruder lief, weil sofort Ideologie im Spiel war. Bei Corona ging es nicht um Ideologie, bei Corona ging es um etwas anderes; es war einfach jeder, wirklich jeder Einzelne auf eine bestimmte Art betroffen, der eine so der andere so. Der eine hat Angst um seinen Friseursalon, der andere weiß nicht wohin mit seinen Kindern, und am Ende geht es auch noch ums Leben. Diese existentielle Not hat bei uns, das habe ich selber so beobachtet, ich will das jetzt nicht so banalisieren, aber so eine Art Sportsgeist entwickelt. Den Vorsatz, wir wollen das jetzt mal richtig machen. Wir haben viel Vertrauen aus verschiedenen Gründen verspielt und wir benutzen das jetzt mal als Möglichkeit, um zu checken, ob wir‘s noch drauf haben (lacht). Nämlich darüber zu informieren, was wichtig ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. 

War das auch ein Beweggrund für den Podcast? Oder gab es da noch ein Schlüsselerlebnis?

Ne, also ein Schlüsselerlebnis gab es nicht, aber die Erkenntnis, wow, das betrifft ja jetzt wirklich mal jeden, vom Bestatter bis zum Apotheker, vom Polizisten bis zur Grundschullehrerin, vom Kabarettisten bis zum Kulturveranstalter. Und da habe ich gedacht, ich rede mal nicht über sie, sondern mit denen, das ist eigentlich immer ganz günstig (lacht). Das hat dann dazu geführt, dass ich in der Coronazeit so viel draußen unter Menschen war wie eigentlich seit Jahren nicht (lacht). Ausgerechnet in der Coronazeit. Und da sind 30 Gespräche entstanden, die alle berichteten, wie Corona ihr Leben verändert hat. Vom Supermarktleiter, der auf einmal anfing zu heulen. Er saß vor mir und ich fragte ihn, wie es gerade mit seinem Team läuft und da fing er an zu weinen, weil ihn das so gerührt hat, was sein Team in dieser Zeit an Sonderleistungen erbracht hat. Nicht nur von der Zeit her, sondern auch diese Angriffe, denen sie ausgesetzt waren, wenn jeder unbedingt die vierte Packung Klopapier haben wollte. Das ist mir mehrmals passiert in dieser Reihe. Eine Tagesmutter fing einfach an zu weinen, weil ihr die Kinder so fehlten. Das war auch so ein Zeichen dafür, wie tief das geht. Wir sind ja nicht unbetroffen, wir waren alle im Homeoffice, wir wussten auch alle nicht wohin mit unseren Kindern. Wir haben genau das gleiche erlebt wie alle anderen auch, wir hatten Verdachtsfälle in der Redaktion, ein Kollege aus einer anderen Redaktion ist daran gestorben. Das war nicht irgendein Thema und das ist es immer noch nicht. 

Hat sich der Journalismus dadurch verändert? Wenn Sie sagen „Wir sind besser geworden“, kann man das auf andere Themen übertragen? 

Das ist die Gretchenfrage. Wie lange hält sich das, und wie lässt sich das auf die Zukunft übertragen? Ich glaube, am Ende erleben wir so eine kleine Renaissance der Sachlichkeit. Ich glaube daran, dass wir den Wert von Wissenschaft anders einschätzen. Ja, ich habe die Hoffnung, dass sich das verändert hat und dass sich bestimmte Instrumente auf andere Themen übertragen lassen. 

Zur Person

Franziska Karas unterrichtet an der Renata Realschule in Hildesheim die Fächer Deutsch, Religion und Geschichte/Erdkunde/Politik (GSW). Dort hat sie die Schüleronlinezeitung gegründet und leitet den Wahlpflichtkurs „Journalismus“. Außerdem ist sie Datenschutzbeauftragte der Schule und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Über n-report

Projektleitung Journalismus und Schule beim niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung
Dieser Beitrag wurde unter Aktuelle Fortbildung, Interviews, Journalistische Beiträge, Medien, Printjournalismus abgelegt und mit , verschlagwortet. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.