Von Dominique Minkley
„Wäre das nicht etwas für dich?“, fragt mich die Schulleiterin des CJD Elze im Januar und schiebt mir eine Info-Broschüre des Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) über den Schreibtisch. Gelb markiert ist die Seminarreihe „n-report digital: Journalistisches Arbeiten in der Schule“. Es geht um Nachrichtenkompetenzen und die Möglichkeiten, diese im Unterricht zu vermitteln. Mein Interesse ist geweckt. „Klar, wieso nicht.“
Ich informiere mich über die Teilnahmebedingungen und nehme mir vor, mich zeitnah zu bewerben. Aber wie das nun mal so ist, Beruf und Privatleben kommen dazwischen und die Bewerbungsfrist, 15. April, rückt immer näher. Und noch etwas passiert. Die Corona-Pandemie stellt die Welt auf den Kopf. Am 23. März kommt der totale Lockdown und ich frage mich: „Findet das Seminar überhaupt statt?“ Gleichzeitig stellt sich Hans-Jakob Erchinger im nicht weit entfernten Hannover dieselbe Frage. Wie ich ist er Lehrer und erlebt das volle Ausmaß der Schulschließungen. Er befindet sich im Homeoffice, seine Frau ist in der Grundschule voll eingespannt, von seinen zwei Kindern sieht er vormittags nicht viel, da sie dank selbst strukturiertem Tagesablauf bis mittags schlafen. Das gibt ihm Zeit, seine schulischen Aufgaben zu erledigen. Zusätzlich unterstützt er seine Kollegen während des Homeschoolings im Support-Team und ruft einen Podcast „Schule Macht Medien“ ins Leben. Als wäre das nicht genug, ist er beim NLQ Fortbildungsverantwortlicher im Fachbereich Medienbildung und organisiert die fünf mehrtägigen Veranstaltungen, die mir die Direktorin empfohlen hat. Wenn das öffentliche Leben des Landes nicht gerade bestimmt wird durch Maskenpflicht, Mindestabstand und fehlende Handdesinfektion, ist die Planung eines solchen Projekts durchaus realisierbar. Doch die gegebenen Bedingungen stellen Erchinger vor einige Herausforderungen. So werden mit dem Lockdown alle Präsenzseminare auf Eis gelegt. Ein Notfallplan muss her. Die einzige Alternative: online, online, online. Alles muss online stattfinden – in Form von Webinaren, Videokonferenzen und mithilfe von Online Tools wie der Reporterfabrik. Aber noch hat Erchinger die Hoffnung, dass sich die Situation bis zur ersten Veranstaltung bessert und vielleicht doch „ganz normal“ stattfinden kann. Diese Hoffnung habe auch ich und beschließe, eine Bewerbung abzuschicken. Es fühlt sich merkwürdig an, in dieser verrückten Zeit Gedanken an so etwas scheinbar Banales wie Weiterbildungen zu verschwenden. Wir befinden uns im Ausnahmezustand, die Lage ist ungewiss, Existenzen stehen auf dem Spiel. Und ich möchte lernen, wie man einen journalistisch wertvollen Text schreibt? Aber es muss ja auch irgendwann wieder Normalität einkehren! Und tatsächlich, mit der schrittweisen Wiedereröffnung der Schulen im Mai dürfen auch kleine Lehrerfortbildungen unter Einhaltung der für Schulen geltenden Hygienemaßnahmen stattfinden. Aber so ein Seminar lässt sich nicht von heute auf morgen organisieren. In der Regel wird es langfristig geplant, mit Sachbearbeitern im Detail besprochen und Veranstaltungsorte sowie Referenten gebucht. Viele Seminare sind zu diesem Zeitpunkt deshalb schon abgesagt und auf eine Onlineversion umgeplant worden. Dass die Veranstaltung „Journalistisches Schreiben“ trotzdem stattfinden kann, ist auch der Kooperation des Veranstaltungsortes „Haus am Meer“ in Wunstorf zu verdanken. Die Gegebenheiten sind ideal. Ein weiträumiges Außenareal bietet die Möglichkeit des Arbeitens im Freien. Der Mindestabstand ist gewährt. Und auch die Location, idyllisch gelegen am Steinhuder Meer, mit einem Steg, der direkt am Wasser entlangführt und auf dem man wunderbar seine Gedanken sammeln kann, tut der Seele gut. Trotzdem bin ich etwas nervös, als ich mich am Morgen des ersten Seminartags auf den Weg mache. Ich bin kein ängstlicher Mensch und lasse die Dinge auf mich zukommen, ohne mich groß verrückt zu machen. Aber in den vergangenen Wochen bin ich vorsichtiger geworden und betrachte eine Ansammlung fremder Menschen mit Skepsis. Wie sieht sie also aus, die Weiterbildung zu Coronazeiten? Auch bei Hans-Jakob Erchinger bleibt ein mulmiges Gefühl. Nur wenige Lehrerfortbildungen mit geringer Teilnehmerzahl finden dieses Jahr statt, die heutige ist eine der ersten. Quasi die Probe aufs Exempel.
Ich komme pünktlich an. Am Eingang des Hotels erwartet mich die obligatorische Flasche mit Handdesinfektionsmittel und eine nette Hotelangestellte, die mir ein Formular für die Kontaktdaten überreicht. Nur für den Fall der Fälle… Ich gehe durch den kleinen, hoteleigenen Garten und betrete den Tagungsraum, wo die Tische mit ausreichend Abstand aufgestellt sind. Zwar sitzen wir zu zweit an den Tischen, aber mit den Stühlen auf Eck geschoben funktioniert das schon mit dem Mindestabstand. Das Seminar beginnt mit einer Vorstellungsrunde und anschließend wird die Aufgabenstellung für die zwei Teilnehmer und zehn Teilnehmerinnen umrissen. Dann steht die erste Zoom-Konferenz an. Unser Referent Jörg Sadrozinski, erfahrener Journalist, interviewt Cordt Schnibben, Journalist im Unruhestand und Herausgeber des kürzlich erschienenen Buchs „Corona – Geschichte eines angekündigten Sterbens“. Die Zoom-Konferenz zeugt davon, dass eben doch nicht alles „ganz normal“ läuft, denn eigentlich wurde bei den Seminaren zum journalistischen Schreiben in den vergangenen Jahren die Gruppe losgeschickt, um Ortsansässige, wie den Fischer oder die Seglerin, zu interviewen. Die Lehrer waren in ihrer Bewegung nicht eingeschränkt und konnten aktiv werden, um ihr Portrait, Interview oder ihren Bericht zu verfassen. Wir hingegen sitzen hier in einem geschlossenen Raum und schauen auf eine Leinwand, während wir uns fleißig Notizen machen. Aber trotz aller Trostlosigkeit, die aus dem letzten Satz zu klingen scheint, macht das Interview wirklich Spaß. „Man muss aus der Not eine Tugend machen“, sagt Erchinger und hat noch ein Ass im Ärmel. Nicht nur über Zoom haben wir die Gelegenheit, renommierte Journalisten zu interviewen. Einer wagt sich tatsächlich in den potentiellen Virenkessel und erscheint vor Ort. Imre Grimm, Journalist und Autor, berichtet von der Rolle der Medien zu Zeiten von Corona und wie er die Ausnahmesituation erlebt hat. Eine schöne Abwechslung zur Zoom-Konferenz, und wir bekommen noch mehr Futter für unsere Endprodukte – alles unter Einhaltung der Hygieneregeln. Lediglich das Mittagsessen überrascht mich. Im Speiseraum sind zwei Tische für jeweils sieben Personen eingedeckt, alle sitzen direkt nebeneinander. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl – aber was will man machen? Beim Essen werden Prioritäten gesetzt. Und noch etwas macht der geplanten Durchführung des Seminars mit Arbeiten im Freien einen Strich durch die Rechnung: Petrus hat einen schlechten Tag und schickt uns Regen. Ist also nichts mit „unter blauem Himmel sitzen und sich von der Muse küssen lassen“.
Nichtsdestotrotz bin ich dankbar, dass das Seminar in der Form stattfindet. Weiterbildungen leben vom Austausch mit Referenten und Kolleginnen. Ein direktes Feedback zu den erstellten Produkten ist höchst wertvoll und die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sofort eine Antwort zu erhalten, sehr beruhigend. All das wäre bei einer Onlineveranstaltung so nicht möglich gewesen und deshalb weniger konstruktiv. Ein Veranstaltungstag steht uns noch bevor, aber dem schaue ich freudig entgegen. Ich weiß jetzt, dass auch zu Coronazeiten Fortbildungen durchführbar sind. Um es in den Worten von Hans-Jakob Erchinger zu sagen: „Es muss ja weitergehen.“
Zur Person
Dominique Minkley unterrichtet an der CJD Christophorusschule Elze das Fach Englisch. Sie wird ab dem Schuljahr 2020/21 die Schülerzeitung betreuen, die als freiwillige Arbeitsgemeinschaft einmal wöchentlich zusammenkommt. Gemeinsam mit einer Kollegin ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit der Schule verantwortlich.