Nein, wie ein Hausmeister für das Gebäude der Kestner-Gesellschaft, Hannover Goseriede 11, wirkt Herr Jörg-Maria Brügger nicht; nicht nur nicht, weil er – ganz in schwarz gekleidet – sich deutlich von dem Grau gemeiner Gebäudeassistenten abhebt. Sondern auch, weil er sich nach kurzer Zeit als ein Gesprächspartner offenbart, der durch seine Tätigkeit im Kunstverein weiß, wie er mit Kunst umzugehen hat.
Die Kestner-Gesellschaft als Kunstverein legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Präsentation moderner Künstler. Hängen bei Ihnen zuhause auch Werke moderner Künstler?
Ja, vor allem eine portugiesische Künstlerin; sie war mal eine Mitarbeiterin von mir und hat vor allem Skulpturen aus Holz gemacht. Deshalb ist sie bei mir an erster Stelle gesetzt.
Was ist Ihre Aufgabe hier in der Kestner-Gesellschaft?
Meine originäre Aufgabe ist es, eben Räume zum Beispiel in diesen Ausstellungsraum hinein zu bauen; also ihn jeweils den unterschiedlichen Anforderung anzupassen, nach Künstlervorgaben, nach Vorgaben eines Kurators oder Galeristen. Die Kunst ist für mich dabei vollkommen sekundär. Mir geht es darum, dass ich sofort im Kopf entwickle, wie ich die Wünsche im Raum umsetzen kann. Das ist an der Ausstellung mein wichtigster Teil: die Realisierung im Raum und ganz wichtig – die Kosten hierfür im Auge zu behalten.
Was war für Sie die größte Herausforderung?
Ich bin jetzt über 20 Jahre hier tätig und habe bestimmt an die 120 Ausstellungen begleitet. Da gibt es Highlights, an die man sich zurückerinnert. Man kann da aber nicht sagen, dass es die eine Ausstellung gibt. In der Zeit gibt es immer wieder neue Anforderungen: Die Art der Umsetzung oder die Materialien für die Umsetzung sind völlig unterschiedlich, das aber macht ja diese Arbeit so interessant. Auch derjenige, der im Theater oder in der Oper Kulissen baut, wird immer wieder vor neue Aufgaben gestellt – wenn ein neuer Regisseur oder Intendant oder ein neues Ensemble kommt. So ist das hier bei jedem Künstler und jeder Ausstellung. Manchmal bekommt man ein positives Feedback von einem Künstler, wenn man in Hannover etwa ein Kunstwerk besser realisieren kann als in Venedig; das prägt sich dann ein.
Was wäre für Sie ein handwerklicher Fehler bei einer Ausstellung?
Die Frage kann ich am besten mit meinen Eindrücken von Ausstellungen in anderen Häusern beschreiben – also was man dort zu sehen bekommt. Dort werde ich ja pingelig. Ich gehe dann in einen Raum hinein und klopfe an die Wand, weil ich herausbekommen möchte, wie das gebaut ist – aus Pappmaschee oder aus einer Spanplatte. Wie ist es lackiert? Wie sind die Nähte bei den Wänden kaschiert? Denn wenn ich im Theater oder in der Oper eine Kulisse baue, dann ist der Betrachter meistens 10,12 Meter weit weg, nicht so aber bei Ausstellungen. Da ist mein höchster Ehrgeiz, die Nähte unsichtbar erscheinen zu lassen.
Sicher müssen Sie sich auf die Umsetzung der Vorgaben konzentrieren. Hat sich aber nach über 20 Jahren nicht doch Ihr Blick auf die Kunst verändert?
Ja, die Tätigkeit für die Kestner-Gesellschaft hat mich vorangebracht. Aber nicht zwangsläufig so, dass jetzt eine Intellektualisierung stattgefunden hat, die kann ich ja nicht messen, das ist mehr ein schleichender Prozess. Aber die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, die Bereitschaft zu sagen, es gibt keine Grenze in der Kunst.Was ich aus meiner Tätigkeit gelernt habe, ist, dass ich damit leben kann, wenn jemand etwas produziert, was dann Kunst genannt wird.
Ein Beispiel dafür wäre für mich „Ohne Titel“ von Ceal Floyer. Da gehe ich ganz runter bis zum Nichts und sage dann, das ist eine Plastiktüte mit Luft. Das ist ja eventuell auch die ursprüngliche Idee dabei, nämlich dass man etwas nimmt, zum Beispiel einen Titel gibt oder es als Künstler signiert. Und weil ich so viele Sachen erlebe, gibt es für mich nicht diesen Punkt zu sagen: Das soll gut sein? Das kann mein Kind auch! Das sage ich nicht; ich mach mich davon frei, wenn ich so etwas anschaue, weil mir vordefiniert wird: Alles ist Kunst! Und dann entwickle ich selber eine Gelassenheit, und sage, dann ist das so. Das ist aber ein Unterschied zur Deutung, die überlasse ich dem Künstler oder den Kuratoren.
Ist es denn aber nicht unredlich gegenüber dem Besucher, wenn dieser mit dem Kunstwerk völlig allein gelassen wird?
Na ja, allein gelassen wird man bei unseren Ausstellungen nicht, weil es sich immer empfiehlt, eine Führung mitzumachen oder den Begleittext zu lesen. Das muss man den Leuten ganz klar mit auf dem Weg geben, wenn man jetzt hier den Anspruch hat, zufrieden hinauszugehen, um einen Denkanstoß zu bekommen, und dann über ein Frage stolpert, so sollte man sie professionell beantworten lassen: durch die Kuratoren, durch eine Führung oder durch den Künstler selber. Denn wenn ich in solch eine Welt eintauchen will, dann sollte ich auch jemanden haben, der mir das erläutern kann. Von selber erklärt es sich nicht zwangsläufig. Und nur so kann man ja weiterkommen von Künstler zu Künstler, von Ausstellung zu Ausstellung.
Macht die Kestner-Gesellschaft mit ihren fünf Ausstellungen pro Jahr Gewinn?
Nein, nein. Ein Kunstverein wie die Kestner-Gesellschaft ist immer defizitär – grundsätzlich. Das würde auch dem eigentlichen Ansatz, nämlich frei, unabhängig und ohne programmatische Zwänge zu sein, widersprechen. Nur so kann man sagen, dass man neue Strömungen oder generell etwas Neues präsentieren will. Also kann man das machen, ohne dass jemand da hineinredet. Wenn man das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sieht, dann könnte man einwenden, dass sieht nicht so toll aus, das lässt sich nicht verkaufen. Eine Ausstellung ist grundsätzlich ein Subventionsgeschäft.
Haben Sie schon einmal Ausstellungen gesehen – besonders von jungen Künstlern, von denen Sie gedacht haben, aus dem wird mal etwas?
Ganz viele. Das ist der entscheidende Vorteil der Kestner-Gesellschaft, dass hier eine Plattform geboten wird. Das ist für beide eine Win-win-Situation. Denn es ist einerseits ein Forum für den Künstler, andererseits ist es die wunderbare Möglichkeit, neue Strömungen und Aspekte darzustellen und unter Umständen die Gelegenheit, Tourneen zu organisieren, dann gehen diese Geschichten nach Mailand oder Aberdeen. Dann erlangt man auch als Kunstverein ein bestimmtes Standing. Aber man kann auch sehen, wie sich Künstlerkarrieren entwickeln. Ich hab`s damals erlebt mit Jonathan Meese. Der ist nun Pfau und Koryphäe auf dem Kunstmarkt – ein Freund des Hauses und hat schon ganz früh hier ausgestellt. Und da bietet die Kestner-Gesellschaft eine optimale Plattform.
Das Interview führte Stefan Roters.
Fotos: Hans-Jakob Erchinger, Stefan Roters.