Aufstehen! Schule? – Wie Schüler das Corona-Homeschooling bewerten

Von Anja Eckstein 

Mit dem Zuruf „Aufstehen – Schule!“ oder so ähnlich wurde der eine oder andere Teenager wohl in den letzten Jahren allmorgendlich an seine Pflichten erinnert. Mit Corona wurde alles anders…

Als am Freitag, dem 13. März 2020 durch unsere Schulleitung bekanntgegeben wurde, dass die Osterferien aufgrund der Corona-Entwicklung um zwei Wochen verlängert werden würden, erinnerte die hörbare Freude der Schüler eher an Hitzefrei als an den Einstieg in einen pandemischen Lockdown. Die Besonderheit der Situation ließ sich allerdings schon erahnen, da alle ihre Schulmaterialien mit nach Hause nehmen mussten. Als die Schüler freudig dem Schulgebäude den Rücken kehrten und spektakulären 5 ½ Wochen Osterferien entgegensahen, hätte wohl keiner vermutet, dass die Kinder am Ende für mehr als 8 Wochen nicht wieder an die Schule zurückkehren würden. 

Inzwischen sind 13 Wochen vergangen und fast alle unsere Schülerinnen und Schüler nehmen wieder am Präsenzunterricht teil. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen:

Als Lehrerin an einem Gymnasium hatte ich die Möglichkeit, in den letzten Tagen vor den Sommerferien Schülerinnen und Schülern aus den Jahrgängen 5, 6, 8, 10 und 11 Fragen über die Schulschließung und die Zeit des häuslichen Lernens zu stellen. Sie haben mir von ihren Problemen und Belastungen im Zusammenhang mit der langen Zeit zuhause, dem Umgang mit den Aufgaben für das Homeschooling, aber auch von ihren Wünschen für das neue Schuljahr erzählt. 

Die meisten kommen mit dem Arbeiten im Homeschooling klar. Trotz der anfangs etwas verwirrenden organisatorischen Vorgaben und der Herausforderungen im Umgang mit neuen IServ-Modulen, wie dem Videochat, dem Messenger oder auch dem Aufgabenmodul, konnten alle ihre Aufgaben regelmäßig und zuverlässig bearbeiten. Als klarer Favorit der Schüler hat sich das Aufgabenmodul entpuppt, denn „wenn man die Aufgaben hochgeladen hat, [dann konnte ich sehen], was ich noch machen muss und was nicht“, fasst ein Mädchen einer achten Klasse die Vorteile zusammen. Auch die Kommunikation über den Messenger wurde positiv bewertet. Vermutlich ist den Schülerinnen und Schülern diese Form des „Sprechens“ miteinander am vertrautesten. Allerdings haben sich einige auch beklagt, dass die Rückmeldungen der Lehrer sehr unterschiedlich ausfielen und die Kinder zum Teil lange auf ihre Antworten warten mussten. Ein Schüler schrieb, dass ihn die zum Teil sehr strikten zeitlichen Vorgaben, wann ein Lehrer erreichbar sei bzw. der persönliche Umgang der Lehrkräfte mit diesem Zeitfenster ziemlich geärgert habe. „Man bekam manchmal das Gefühl, die Lehrer zu stören oder zu nerven.“ 

Bei der Menge der zu erledigenden Aufgaben und dem eigenen Tempo der Bearbeitung gab es deutliche Unterschiede: Während einige Schüler bereits Mitte der Woche fertig waren und ihre freie Zeit nutzen konnten, beklagten andere, dass sie oft lange vor dem Computer sitzen mussten, um alles zu schaffen. Obwohl die Gründe für dieses Auseinanderklaffen der Antworten ganz unterschiedlich gelagert sind, sollten wir als Lehrer künftig über Verbesserungsmöglichkeiten sprechen. 

Erfreulich ist, dass keiner der Befragten Probleme wegen nicht vorhandener Technik zurückgemeldet hat. Der größte Teil beschreibt sich sogar als „digital gut ausgerüstet“ (mit einem Computer, einem Drucker, einem Smartphone, manchmal sogar noch einem Tablet). Nur selten mussten sich Schüler einen Laptop mit einem anderen Familienmitglied teilen. Die Schüler fanden und finden die digital gestellten Aufgaben überwiegend gut. An mehreren Stellen äußerten sie den Wunsch, verschiedene Lernplattformen, Apps oder digitale Produkte in der Zukunft im Unterricht zu nutzen. Allerdings wollen einige auch „nur wieder normalen Unterricht“. Was lässt sich für uns als Lehrer daraus mitnehmen? Die Schüler sehen offensichtlich die Vorteile der Digitalisierung des Unterrichts darin, sich besser organisieren zu können, schneller Antworten zu finden und die Nachhilfe durch Erklärvideos auf einschlägigen Webseiten zu ersetzen, aber sowohl die Jüngeren (Klasse 5) als auch die Älteren (Klasse 11) finden „[den] normalen Unterricht so eigentlich in Ordnung“. Vielleicht gibt es ja Ideen, wie man die inzwischen vertrauten IServ-Angebote so in den Schulalltag einbinden kann, dass die Schülerinnen und Schüler mehr Eigenständigkeit entwickeln und mehr Verantwortung für ihr Arbeiten übernehmen können.  Zwischen den Zeilen lässt sich immer wieder erkennen, dass sie stolz sind auf sich und überzeugt davon, dass Schule und Lehrer ihnen mehr zutrauen können als bisher (vielleicht). 

Besonders spannend sind auch die Rückmeldungen, wie die Kinder und Jugendlichen das eigene Lernen organisiert haben. Nachdem sie das enge Korsett zwischen erster und achter Stunde verlassen mussten, ist ihr Schulalltag trotzdem nicht zusammengebrochen. Hier und da gab es sicher Strukturhilfe von den Eltern. Die meisten freuen sich aber erkennbar darüber, dass sie sich allein zeitlich organisieren konnten. Nun ja – wenn man sich die Arbeitszeiten ansieht, die die Schülerinnen und Schüler zurückgemeldet haben, merkt man schnell, dass bei vielen der Biorhythmus das Zepter in die Hand genommen hat. Ausschlafen – (lange und in Ruhe) frühstücken – Aufgaben bearbeiten – Mittagessen – Aufgaben bearbeiten – Freizeit. So lässt sich für die meisten ein Tag im Homeschooling zusammenfassen. Unter normalen Umständen wären die meisten Schüler so erst zur dritten Stunde erschienen, hätten sich aber selbst als aufnahmefähiger und effizienter eingestuft. Vor allem die älteren Jahrgänge machen deutlich, dass sie nach ihrem eigenen Rhythmus erfolgreicher arbeiten konnten. Auch wenn diese Erkenntnis vielleicht die größte Herausforderung im Pool der Veränderungen darstellen würde, wäre sie einen zweiten oder dritten Gedanken sicher wert, da am Ende eventuell alle zufriedener nach Hause gehen könnten.

Natürlich hat auch während des Lockdowns mehr stattgefunden als das Lernen am Bildschirm. Auch wenn viele ihren ‚normalen‘ Hobbys, vor allem im Sport, nicht nachgehen konnten, wurde das Fitnessprogramm zuhause absolviert. Andere erzählten mir, dass sie mehr Zeit und Energie für sich hatten. Es wurde mehr musiziert, der eine oder andere lernte Kochen, Rasenmähen oder Schachspielen. 

Während man in der Politik und in der Öffentlichkeit nicht müde wurde, auf die entstehenden Bildungslücken zu verweisen, und befürchtet, dass die Kinder diese Defizite vielleicht nie wieder aufholen würden, zeigen die Antworten der Schülerinnen und Schüler ein großes Urvertrauen in unsere Arbeit als Fachlehrer und Pädagogen. Man sei gut mit Aufgaben versorgt worden und vertraue auf die Planung der Lehrkräfte für das neue Schuljahr oder, wie eine Schülerin meinte, „Wissenslücken bleiben nicht aus und können genauso gut in den Ferien entstehen“. Dies ist ein erfreulich optimistischer Blick auf die eigene Situation. 

Abschließend möchte ich nicht vergessen, auf den wohl wesentlichsten Beitrag hinzuweisen, den Schule aus der Sicht der Schüler aktuell leistet. Sie ist soziale Begegnungsstätte – ein wichtiger Raum, um sich mit Freunden zu treffen und sich über Probleme und Neuigkeiten auszutauschen. Alle der ca. 40 befragten Schülerinnen und Schüler gaben an, dass die soziale Isolation am schwierigsten für sie gewesen sei. Sätze, wie: „Ich konnte meine Schulfreunde nicht treffen“ (Schüler aus Klasse 5), „Der Kontakt zu anderen Menschen fehlte mir sehr“ (Schülerin aus Jahrgang 10) oder „Beim Erledigen von Aufgaben niemanden neben sich zu haben (Mitschüler) war nicht schön“ (Schüler aus Klasse 8), zeigen, was wir bei aller Veränderung und Digitalisierung in der Zukunft nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Das urplötzliche Auftauchen von Covid-19 hat die Bildungsminister Deutschlands sicher aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Allerdings sollten die Erfahrungen, die wir als Eltern und/oder Lehrer in den letzten Monaten gesammelt haben, aber auch die Einschätzungen der Schüler dabei helfen, das Lernen in Zukunft flexibler, individueller, aber auch persönlicher zu gestalten, die technischen Möglichkeiten zu nutzen, damit aber nicht das Zwischenmenschliche zu ersetzen. 

Zur Person 

Anja Eckstein unterrichtet am Scharnhorstgymnasium in Hildesheim. Sie ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ihrer Schule verantwortlich. Darüber hinaus baut sie gerade einen Schülerblog an ihrer Schule neu auf. 

Über n-report

Projektleitung Journalismus und Schule beim niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung
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